Alles Trauma oder was?
Im Leben eines jeden Menschen gibt es herausfordernde Erfahrungen, Situationen, die überfordern, verunsichern oder einem das Gefühl geben, keinen Einfluss mehr zu haben. Ob eine solche Erfahrung traumatisch wirkt, hängt nicht allein vom Ereignis selbst ab, sondern davon, welche Ressourcen, welches Umfeld und welche inneren Bewältigungsstrategien in dem Moment zur Verfügung standen.
Trauma ist kein Zeichen von Schwäche.
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Es ist eine natürliche Reaktion auf etwas, das zu viel war, zu schnell kam oder zu lange anhielt – emotional, körperlich oder beziehungsmäßig.
Trauma bedeutet nicht zwingend ein „Ereignis“, sondern beschreibt eher einen Zustand im Nervensystem: ein Erleben von Ohnmacht, Kontrollverlust oder tiefer Trennung vom eigenen Selbst. Daraus können sich Symptome entwickeln – etwa Übererregung, Rückzug, emotionale Taubheit oder ständige Anspannung. Diese Symptome sind Versuche des Körpers und der Psyche, sich zu schützen – also Ausdruck eines ehemals sinnvollen Anpassungsprozesses.
Gleichzeitig trägt jeder Mensch das Potenzial in sich, aus diesen Erfahrungen zu lernen, sich weiterzuentwickeln und neue Wege im Umgang mit sich selbst zu finden. Mit einer achtsamen, respektvollen Begleitung kann Trauma nicht nur verstanden, sondern auch transformiert werden – Schritt für Schritt, im eigenen Tempo.
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Schocktrauma vs. Entwicklungstrauma​
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​Ein Schocktrauma bezeichnet ein einziges, plötzliches und überwältigendes Ereignis. Es hat einen klaren zeitlichen Beginn und meist auch ein deutliches Ende, z.B. ein schwerer Autounfall, eine Gewalttat oder eine Naturkatastrophe. Dem Körper gelingt es nicht zu kämpfen oder rechtzeitig zu flüchten. Aus dieser Ohnmacht und Hilflosigkeit heraus reagiert er mit Erstarren. Noch lange nach dem eigentlichen Geschehen können Bilder, Gerüche, Geräusche oder Orte das Trauma - mit all den unverarbeiteten Körperreaktionen und Symptomen - wieder hervorrufen.
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Ein Entwicklungstrauma hingegen entwickelt sich nicht aus einem einzelnen Schockmoment, sondern entsteht über einen längeren Zeitraum, meist beginnend in der Kindheit, durch wiederholte anhaltende Belastungen. Auslöser sind vielfältig, subjektiv unterschiedlich bewertbar und in ihrer Qualität unterschiedlich. Dabei muss es sich nicht immer um ein gewalttätiges Ereignis handeln. Entwicklungstraumata entstehen bei wiederkehrenden Ereignissen, die Säugling und Kind als lebensbedrohlich wahrnehmen und sind meist in den Beziehungen zu ihren wichtigsten Bezugspersonen verankert - etwa emotionale Vernachlässigung, ständige Abwertung, inkonsistente Fürsorge oder wiederkehrende (miterlebte) Gewalt in der Familie. Diese dauerhafte Unsicherheit und fehlende emotionale Stabilität beeinflusst die Entwicklung des Kindes tiefgreifend: es lernt, sich selbst und anderen nur begrenzt zu vertrauen, hat Schwierigkeiten mit der Selbstregulation und beeinflusst die Entwicklung eines gesunden Selbstbildes. Folgen von Entwicklungstraumata greifen oft tief in die Persönlichkeitsstruktur des Heranwachsenenden ein. Viele psychischen Probleme, Symptome und Diagnosen finden ihren Ursprung in dieser chronisch anhaltenden Aktivierung des Nervensystems, die von klein auf notwendig war und aus der Überforderung heraus entstand, um das eigene Überleben - sowie die Bindung zur primären Bezugsperson - zu sichern.